"Wer bei Pizza, Lasagne oder Cheeseburger an Käse denkt, liegt neuerdings nicht immer richtig", meldet die Verbraucherzentrale Hamburg. "Analog-Käse" heiße eine neue Mixtur im Anbieterjargon, die immer häufiger auf vermeintlich käsehaltigen Fertiglebensmitteln zu finden sei.
Der Kunstkäse, auch Nepp-Käse genannt, besteht aus Wasser, Pflanzenfett, Milcheiweiß, Stärke oder/und Geschmacksverstärkern. Man findet ihn in Fertigprodukten aller Art: Pizza, Lasagne, 'Cheese'burger, 'Käse'stangen, überbackenen 'Käse'brötchen ...
Zum Glück betrifft mich diese Nachricht nicht, denn ich bin kein Freund des Geschmolzenen, unpraktische Fäden Ziehenden, immer viel zu Heißen und viel zu schnell zu Hartgummi Erstarrenden, war es noch nie und werde es auch nie werden. Ob Analog- oder echter Käse, ist mir egal. Ich bevorzuge, wenn überhaupt, den klassischen Käsewürfel. Den finde ich gut, denn er will nichts sein, was er nicht wirklich ist. Er plustert sich nicht vor mir auf, heischt nicht billig um Effekte, indem er erst flüssig und eine Minute später zähflüssig ist, dann gummiartig und schließlich dem Hartplastik verdächtig nahe kommt. Nein, Käse, geschmolzen, ist meine Sache nicht.
I PREFER CHEESE WHO PREFERS BEING CHEESE.
Fantastisch dagegen finde ich das ihm innewohnende und nun dank Käseskandal ins Scheinwerferlicht getrete sprachschöpferische Potenzial. Analogkäse. Kunstkäse. Neppkäse. Alles wunderschöne, vielschichtige, geistreiche Wörter.
Zum Analogkäse fällt einem gleich die Digitalwurst ein, und man fragt sich, wie die wohl schmeckt und welcher Metzger sie feilbietet.
Zum Kunstkäse, nun, da fällt einem, wohnt man im galerienüberschmemmten Berlin, eine ganze Menge ein, aber kunstrichterlich auftreten will man nicht, denn Kunst ist und bleibt das Medium der Freiheit, und schon allein deswegen verbietet sich jegliches Urteil. (Was nicht heißt, dass man nicht seinem Ärger über das Kunstwerk XY, das nichts weiter als eine bodenlose Plattitüde ist, affirmativ und servil, nichts Eigenes, keine Idee nirgends, einfach abscheulich, bäh, pfui! lauthals Luft verschaffen darf, ja sogar sollte - siehe Freiheit.)
Der Neppkäse schließlich bezaubert durch seine vielseitige Verwendbarkeit und die jeder Tautologie innewohnende Drastik. Man geht zum Beispiel in einen der Berlinshops im Dunstkreis des Brandenburger Tors, schüttelt hier ein paar Kunstschneeflöckchen und da einen flüssig gefüllten Transparentkuli, auf dass der winzige Doppeldeckerbus von der Kugelschreiberspitze in Richtung Druckknopf tuckert - und wieder zurück. Neppkäse allererster Sahne! Was am Neppkäse (jetzt ist wieder das Wort gemeint) besonders toll ist, ist die Tatsache, dass man ihn umdrehen kann, ohne dass sich der Sinn umdreht. Neppkäse - Käsenepp. Käsenepp - Neppkäse - Neppkäse - Käsenepp-käse-nepp-käse-nepp... hurra! Das macht Spaß!
So. Was nun? Käse ist aus. Wurst ist auch keine da. Dann vielleicht doch Kunst? Kunstkäse? Käsekunst? Man könnte auf eine Alm fahren, beim Käsemachen zugucken und frisch gestärkt von oben ins Tal rufen: "Dieser Käse, lieber Senn, ist ein Kunstwerk! Und noch dazu eines, das man essen kann! Deine Hütte, lieber Senn, sei meine Documenta!"