Die Frage ist ja mitunter berechtigt: Kunst oder Leben? Thomas Mann beispielsweise, dem großen Thomas Mann, wird allenthalben (zumindest von großen Teilen der selbsternannten Fachwelt) nachgesagt, "kein guter Vater" gewesen zu sein. Weil er lieber überm Zauberberg brütete als Bauklötze aufeinander zu türmen. Seine für die Arbeit lebensnotwendige Stille-Zeiten hat das Dichter- und Familienoberhaupt verschiedenen Überlieferungen zufolge aufs Kompromissloseste verteidigt, auch und gerade innerhalb des turbulenten Familienlebens. Was konkret so aussah, dass die nach dem Vater schreienden Spielkinder dies zeitweise eben vor verschlossener Arbeitszimmertür taten. Dass man nicht gleichzeitig Windräder schrubben und durch die Weltwissensgeschichte reiten kann und das Basteln von hoher Literatur dem Bauen von Papierschiffchen öfter im Wege steht als dem Nachwuchs lieb ist - logo! Und wer, dessen Herz auch nur zweimal pro Minute für die Kunst schlägt, könnte einem Künstler solches oder ähnliches Priorisierungsgebaren verübeln? Kaum etwas findet mein Missfallen mehr als Leute ohne Respekt vor und Achtung der produktiven Verschrobenheit der Künstlernatur! (Im Falle des Thomas Mann anhaftenden "kein guter Vater"-Prädikats habe ich immer vermutet, dass es von gebärfreudigen Literaturwissenschaftlerinnen mit Schwerpunkt Gender Studies kommt, die beherzt und ahnungslos dem Biografismus frönen, obwohl jedes Erstsemester weiß, dass es meistens in die Hose geht, wenn man vom Leben eines Schriftstellers mehr oder weniger ungefiltert auf dessen Werk schließt oder andersrum.)
Obwohl oder gerade weil ich also am liebsten einen Ring aus schalldichten Materialien um mich her trüge, in den ich jeden Dichter aufnähme, dessen Trommelfell vor dem lauthalsen Unverstand der Menge verschont werden muss, finde ich, dass die Eingangsfrage hin und wieder doch nicht ganz so klar mit "Kunst!" beantwortet werden kann. Schließlich sind ja Situationen vorstellbar, in denen ein kompromissloses Sich-auf-die-Kunst-Seite-Schlagen dazu führt, dass nicht nur das Leben drum herum blaue Flecken bekommt, sondern auch noch die Kunst drum herum - die Kunst der anderen. Andererseits - liegt nicht gerade darin das besondere Potenzial der Kunst: Schlachtfeld ohne Verletzte sein zu können? Weil: Is ja nur Kunst?
Ich fürchte, das führt zu weit. Mein Rat an alle, die an der Lösung solcher und ähnlicher Fragen knobeln: Kauft euch eine Heißklebepistole! Eine neue Dimension des Klebens eröffnet sich, klebt man sowas auf sowas, und mitunter findet man sogar eine Antwort.