Der Soziologe Ralf Dahrendorf (1929 bis 2009) hält in seiner Rede zum 40. Geburtstag des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Februar dieses Jahres Wörter wie "Finanzkrise" oder "Wirtschaftskrise" zur Beschreibung der Lage, in der wir uns befinden, für viel zu schwach. Und spricht stattdessen von einem "Einbruch in Strukturen und Mentalitäten von Wirtschaft und Gesellschaft".
Dahrendorfs Diagnose: Da sich die Schere zwischen Spitzeneinkommen (von Führungskräften) und Normaleinkommen (von Mitarbeitern) immer weiter öffnet, entstehen "zwei Welten, die durch keinerlei Erfahrung mehr zusammengehalten werden."
Dahrendorfs Derivat-Vergleich: "Die Verantwortung der Entscheidungsträger ist selbst zum Derivat geworden. Führende in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben sich mehr und mehr von denen, für die sie Verantwortung tragen, entfernt. So wie Derivate in der Finanzwelt von realen Werten zunehmend abgehoben sind, sind es auch Verantwortungsträger in der sozialen Welt."
Dahrendorfs Appell: Die Sozialwissenschaftler müssen wieder wie früher öffentliche Intellektuelle sein. "Das Wort 'Wissenschaftler' bedarf einer Korrektur. Wissenschaftler sollten sich als Vermittler zwischen Wissenschaft und Politik betätigen, also als öffentliche Intellektuelle." Genau! Sozialwissenschaftler müssen, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen (also das "Sozial-" genauso wie das "-wissenschaftler"!), über die Fakten, die sie gesammelt haben, auch reden. Sie dürfen sich nicht "vornehm" (in Wahrheit: feige) zurück halten, wo man den Mund aufmachen muss.
Seine Rede beschließt der große Soziologe mit einem Wunsch für das WZB:
"Möge es blühen und gedeihen, in der Offenheit für jene wirkliche Welt, die wiederzuentdecken heute unsere Aufgabe ist. Die Rückkehr zu den Ursprüngen (...) der Zeit der Gründung ist dabei nicht der schlechteste Ratgeber."